Cover: Inklusionsorientiert Lehren und Lernen - Methodenkatalog für den Hochschulkontext

Inklusionsorientiert Lehren und Lernen - Methodenkatalog für den Hochschulkontext

Pferdekämper-Schmidt, Anne; Sartor, Teresa; Wilkens, Leevke; York, Jana


3.1 Veranstaltungsorganisation

 Anne Pferdekämper-Schmidt 1
 Teresa Sartor 1
 Leevke Wilkens 1
 Jana York 1


1 Rehabilitationswissenschaften, Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland

Leitfrages des Kapitels:

  • Wie lässt sich eine barrierefreie (Lehr-)Veranstaltung planen?
  • Welche Aspekte zur Barrierefreiheit müssen bei der Planung berücksichtigt werden?
  • Wann ist eine Veranstaltung barrierefrei?
  • Wie kann eine Teilnahme für alle Interessierten ermöglicht werden?
  • Gibt es Unterschiede zwischen Lehrveranstaltungen, wie zum Beispiel Vorlesungen, Seminare, Übungen, Tutorien und Großveranstaltungen, wie zum Beispiel Tagungen?
  • Was sollte bei digitalen Veranstaltungsformaten berücksichtigt werden?

Kriterien für eine barrierefreie Veranstaltung

Eine barrierefreie Veranstaltung ist so gestaltet, dass an dieser alle Teilnehmenden gleichberechtigt und gleichwertig teilnehmen können. Barrierefreiheit einer Veranstaltung bedeutet sowohl die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Beeinträchtigung als auch eine vielfaltssensible Veranstaltungsplanung und -organisation. Alle Menschen profitieren somit von einer barrierefreien Veranstaltungsplanung.

Wann können alle teilnehmen?

  • Räumlich/baulich Voraussetzungen: Zugänglichkeit der Infrastruktur
  • Adressierung: Kommunikation durch vielfaltssensible Ansprache in Einladungen, Flyern, Veranstaltungsankündigungen, barrierefreie Materialien

Als Kriterien für die Planung einer barrierefreien Veranstaltung gelten folgende Aspekte: Jede Veranstaltung wird im Sinne des Diversity/Disability Mainstreaming geplant, organisiert und durchgeführt. Dies bedeutet, dass immer – also in sämtlichen Planungsschritten die verschiedene Bedarfslagen aller Teilnehmenden berücksichtigt werden[1]. Am einfachsten und besten gelingt dies, wenn Teilnehmende als Expert*innen in die Planung der Veranstaltung miteinbezogen werden – also Teil des Planungsteams sind. Ist dies nicht realisierbar, empfiehlt es sich, die Planungsschritte mit mindestens einer weiteren Person zu reflektieren und auf Barrieren zu prüfen. Alle Methoden und didaktischen Prinzipien sollten darauf geprüft werden, ob sie für alle Teilnehmenden gleichermaßen passend sind und, ob das Zwei-Sinne-Prinzip (s. Kapitel Barrierefreiheit in der Lehre) gewährleistet ist. Dies setzt die Reflexion und das Wissen über Bedarfe von Menschen mit Beeinträchtigung voraus. Einiges lässt sich dabei aus der Literatur und Empfehlungen von Selbstvertretungsverbänden ableiten, so dass eine barrierefreie Veranstaltung geplant werden kann (s. Infobox mit weiterführenden Links am Ende dieses Kapitels). Grundsätzlich gilt, dass dies nicht die Kommunikation und Interaktion über individuelle Bedarfe ersetzt – gemäß der Mottos „Fragen kostet nichts“ oder „Menschen als Expert*innen in eigener Sache anerkennen“. Man sollte mit allen (potentiellen) Teilnehmenden der Veranstaltung ins Gespräch kommen und zum Beispiel im Anmeldeformular individuelle Anforderungen an die Veranstaltung abfragen.

In diesem Kapitel liegt der Fokus auf Lehrveranstaltungen an Universitäten und Hochschulen. Dies können alle Vorlesungen, Seminare, Übungen und Tutorien in der Verantwortung hauptamtlicher Lehrender sein, aber auch Workshops, Trainings und Fortbildungsveranstaltungen durch externe Trainer*innen oder Lehrbeauftragte. Welche Aspekte zusätzlich bei der Planung von barrierefreien Großveranstaltungen, wie Konferenzen, Tagungen oder Netzwerktreffen und digitalen Veranstaltungsangeboten, wie Webinaren oder digitalen Konferenzen berücksichtigt werden müssen, findet sich in Exkursen am Ende des Kapitels.

Bei allen Veranstaltungsformaten sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:

  1. Räumlich/bauliche Barrierefreiheit: Türöffner, Fahrstühle, weite Bewegungsräume; Mikrofonanlage und induktive Höranlagen, Türschilder in Punkt und kontrastreicher Schrift, Wegbeschreibungen
  2. Ansprache - Veranstaltungsmarketing: Vielfaltssensible Veranstaltungswerbung, Bedarfsabfrage bereits in Flyer, Einladung oder Anmeldeformular und Barrierefreiheit beziehungsweise Zugänglichkeit des Veranstaltungsortes erwähnen

Veranstaltungsorganisation für Lehrveranstaltungen

  1. Planung:
  • Vielfaltssensible Veranstaltungsankündigung inklusive Hinweis auf Barrierefreiheit der Räume
  • Bedarfsabfrage (Beispielformulierung: „Was benötigen Sie, um gut und aufmerksam an unserer Veranstaltung teilnehmen zu können?“ + Wünsche nach Sitzplätzen)
  • Vorab, etwa eine Woche vor Veranstaltungsbeginn an alle Teilnehmenden barrierefreie Dokumente verschicken, inklusive Zeitplanung mit Pausenzeiten und Inhalt zur Orientierung sowie einer Wegbeschreibung
  • Ansprechbarkeit unter Berücksichtigung des Zwei-Sinne-Prinzips: Mail, Telefon, Videochat
  • Barrierefreie Räumlichkeiten nutzen oder vorhandene Räume barrierefrei gestalten (Stühle, Tische umstellen)
  1. Adressierung:
  • Vielfaltssensible Ansprache
  • Vielfaltssensible Bildgestaltung
  • Weiblich / männlich / divers / keine Angabe (möglicherweise ist das Geschlecht für eine Teilnahme auch keine relevante Kategorie?)
  1. Durchführung
  • Ansprechbarkeit und Flexibilität signalisieren
  • Dolmetscher*innen (Gebärden und Schriftsprachdolmetscher*innen) bei Bedarf vorhalten
  • Bei Veranstaltungen länger als 90 Minuten – ausreichend Pausen einplanen (mindestens alle 90 Minuten 15 Minuten Pause)
  • Verbalisierung und Beschreibung aller in der Präsentation genutzten Abbildungen und Fotos
  • Mit Blickkontakt zum Plenum sprechen
  1. Lehrmaterialien
  • Barrierefreiheit prüfen und sicherstellen
  • Zwei-Sinne-Prinzip beachten

 

 

Barrierefreie Lehr- und Lernmaterialien

Hilfreich sind die Anleitungen zur barrierefreien Gestaltung von Dokumenten der Technischen Universität Dresden.

EXKURS Großveranstaltungen

  1. Planung
  • Wie oben und zusätzlich Catering: vegan, vegetarisch und Beschriftung inklusive Allergene, Strohhalme
  • Steh und Sitztische (unterschiedliche Höhen)
  • Preisgestaltung/Teilnehmenden-Beiträge: Solidaritätsmodelle wie Vergünstigungen und freiwillige höhere Beiträge sowie zwingend freier Eintritt für Assistenzpersonen
  • Bedarfe bei Referent*innen abfragen
  • Barrierefreies Anmeldeformular mit vielfaltssensibler Ansprache und Bedarfsabfrage
  1. Durchführung
  • im Vorfeld Sensibilisierungstraining für Helfende
  • Ansprechpersonen (Empfang, Parkplätze, Platzreservierungen, Technik)
  • Einsatzplan der Helfer*innen mit konkreter Aufgabenbeschreibung
  • Sitzplatzreservierungen nach Wünschen in der Anmeldung
  • Ruheraum
  • Dolmetscher*innen (Gebärden und Schriftsprachdolmetscher*innen) und diese sichtbar positionieren
  • Mikros für alle Personen mit aktiven Sprecher*innenrollen; Diskussions und Fragebeiträge als Moderator*in paraphrasierend wiederholen
  • Ggf. Livestream
  1. Materialien, Dokumentation
  • Materialien barrierefrei nach der Veranstaltung an alle Teilnehmenden verschicken oder als Download zur Verfügung stellen

EXKURS digitale Veranstaltungen

  1. Planung
  • Barrierefreies Meetingtool nutzen (s. Kapitel Lernmanagementsystem)
  • Klare Zeit und Inhaltsplanung; ausreichend Pausenzeiten (alle 45 bis 60 Minuten)
  • Meetingregeln und Tipps im Umgang mit dem verwendeten Tool bereits mit der Einladung verschicken und zu Beginn der Veranstaltung erläutern
  • Live Untertitelung entweder durch Schriftsprachdolmetscher*innen oder besprochene Präsentationsfolien
  • Abwägung zwischen asynchronen und synchronen Formaten (als Faustregel: reine Wissensvermittlung eher asynchron, damit Inhalte zeitunabhängig abgerufen werden können)
  1. Durchführung
  • Gute Ton und Bildqualität (Mikrofon oder Headset nutzen, einfarbiger, neutraler Hintergrund)
  • Fürsorgliche Kommunikationskultur: nur eine Person spricht, alle anderen können ihr Audio auf „stumm“ stellen
  • Gebärden und Schriftsprachdolmetscher*innen bei Bedarf
  • Wortbeiträge aus dem Chat und geteilte Bildschirme immer verbalisieren
  • Protokoll der Veranstaltung, barrierefreie Skripte zur Verfügung stellen

 

Weiterführende Links

Bundesfachstelle Barrierefreiheit (n.d.): Checkliste barrierefreie Veranstaltungen. https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/SharedDocs/Downloads/DE/Veroeffentlichungen/checkliste-barrierefreie-veranstaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=5.

Der Paritätische Hessen (2013): Der Barriere-Checker. Veranstaltungen barrierefrei planen: https://www.paritaet-hessen.org/fileadmin/redaktion/Texte/Aktuelles__Slider_/Final_Barriere-Checker_2_auflage.pdf.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (2018): Gestaltung barrierefreier Tagungen, Seminare und sonstiger Veranstaltungen. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/3336.

Sozialheld*innen e.V. (n.d.): Projekt Ramp-Up.me. https://ramp-up.me/.

Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz (2009). Checkliste für barrierefreie Veranstaltungen. Ein Leitfaden zur guten Vorbereitung und Planung. https://msagd.rlp.de/fileadmin/msagd/Publikationen/Soziales/Checkliste_barrierefreie_Veranstaltungen.pdf.

Netzwerk Leichte Sprache (2017): Regeln für Treffen und Tagungen. https://www.leichte-sprache.org/wp-content/uploads/2017/11/Regeln_Tagungen.pdf.

Universität Kassel (2016): Jenseits von Barrieren lehren! Anhaltspunkte zum Thema „Studium und Behinderung“ für Lehrende auf dem Weg zu einer inklusiven Hochschule. http://www.uni-kassel.de/themen/fileadmin/datas/themen/studium_behinderung/Leitfaden/barrierefrei_Dozentenbrosch%C3%BCre_StuB_A5.pdf.

Universität zu Köln (2018): Hochschul-Events barrierefrei organisieren. Checkliste für Tagungen, Vorträge und Lehrveranstaltungen. https://portal.uni-koeln.de/sites/uni/PDF/Checkliste_Barrierefreie_Events.pdf.


Referenzen

[1] Klein, Uta (2016). Inklusive Hochschule als partizipativer Prozess: Das Beispiel der Universität Kiel. In: Klein, Uta (Hrsg.) Inklusive Hochschule (80-103). Weinheim/Basel: Beltz.