Cover: Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Bayrak, Cana; Frank, Annika; Heintges, Jessica; Sotkov, Mihail


Beschreiben im Biologieunterricht

 Cana Bayrak 1


1 WWU Münster, Münster, Germany

1 Einleitung

 

„Keine Fachkommunikation, kein Fachunterricht, keine Erzählung, kein gemeinsames Planen, keine Kritik kann auf beschreibende Elemente verzichten.“ (Hoffmann 2018, S. 219) [1]

Während mit dem Beschreiben und der Beschreibung als schriftliche Handlungsform primär der Deutschunterricht in Verbindung gebracht wird, soll mit diesem Zitat die Aufmerksamkeit auf den Biologieunterricht, für den das Beschreiben von besonderer Relevanz ist, gelenkt werden. Dass das so ist, zeigt schon ein Blick in die Bildungsstandards des Faches Biologie für den mittleren Schulabschluss: Ganze 18 Mal wird dort die sprachliche Handlung des Beschreibens eingefordert. Dabei fällt auf, dass das Beschreiben sehr häufig in Kombination mit weiteren (komplexen) sprachlichen Handlungsformen wie dem Erklären oder dem Vergleichen gefordert wird: Die Schülerinnen und Schüler „beschreiben und erklären Struktur und Funktion von Organen und Organsystemen“, „beschreiben und vergleichen Anatomie und Morphologie von Organismen“, „beschreiben und erklären Originale oder naturgetreue Abbildungen mit Zeichnungen oder idealtypischen Bildern“ (Kultusministerkonferenz 2005, S. 13 ff.) [2]. Die Komplexität einer Beschreibung und damit verbunden die Herausforderung für den Schreiber wird durch verschiedene Faktoren bestimmt. Zu diesen zählen der übergeordnete Zweck der Beschreibung, die Objekteigenschaften sowie das Vorwissen des Adressaten (vgl. Hoffmann 2016, S. 538) [3]. Relevant für die Betrachtung des Biologieunterrichts erscheinen vor allem die beiden erstgenannten Aspekte: Der übergeordnete Zweck der Beschreibung und die Eigenschaften des Beschreibungsobjekts.

 

2 Beschreibungsobjekte und Darstellungsformen

 

Die Biologie gewinnt ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse u.a. durch die wissenschaftliche Beobachtung und so sind eine ganze Reihe von bedeutsamen Erkenntnissen dieser Disziplin auf der Grundlage wissenschaftlicher Beobachtung gewonnen worden. Die Wahrnehmung eines Objekts und die sich ausbildende Repräsentation sind für den Erkenntnisprozess von großer Relevanz, weswegen der Biologieunterricht großen Wert auf die Schulung der Wahrnehmung legt. Gängige Übungen sind hier das Anfertigen von Zeichnungen auf Grundlage der Beobachtung, häufig ergänzt durch Beschriftungen. Vor allem, wenn das Beobachten von Anschlusshandlungen wie dem Vergleichen oder dem Erklären gefolgt wird, entsteht die Notwendigkeit der schriftlichen Dokumentation des Beobachteten (gemeinsame Wissensbasis). Die typische sprachliche Handlung, mit der dies realisiert wird, ist die Beschreibung. Betrachtet man die Beschreibung in einem Handlungsmuster (vgl. Rehbein 1984) [4], kann man also festhalten, dass die Beschreibung als solche erst an vierter Position steht: Das zu beschreibende Objekt der realen Welt, dessen Perzeption und die sich ausbildende Repräsentation im Sprecherwissen gehen der Versprachlichung voraus und werden von Rehbein (1984, S. 68 f.) [4] als „Konstellation der Vorgeschichte“ des Beschreibens beschrieben.
Die Objekte, die im Biologieunterricht beobachtet und beschrieben werden, sind sehr vielfältig. Konkrete Objekte der realen Welt werden zudem auf verschiedene Arten betrachtet: Auf der makroskopischen Ebene wird nicht nur das äußere Erscheinungsbild beschrieben (z.B. Körperbau einer Katze), sondern auch das Erscheinungsbild des Inneren, was häufig zunächst einen äußeren Eingriff erfordert (z.B. Magen eines Wiederkäuers). Als wichtiges Instrument erlaubt es das Mikroskop, Objekte zu betrachten, die das menschliche Auge ohne Hilfe nicht wahrnehmen könnte. Nicht nur Einzeller können dann in ihrem äußeren Erscheinungsbild wahrgenommen werden, sondern auch Aufbau und Struktur bestimmter Objekte betrachtet werden (z.B. Aufbau der Epidermis). Weitere gängige Beobachtungs- und Beschreibungsobjekte sind wahrnehmbare Vorgänge (z.B. Bewegung einer Katze, Rauchentwicklung bei einem Experiment) sowie abstrakte Prozesse (z.B. Photosynthese). Diese breit gestreuten Arten von Beobachtungs- und Beschreibungsobjekten erfordern im Unterricht eine Vielfalt an Darstellungsformen. So reicht der Erfahrungsmodus der Schülerinnen und Schüler von der Anschauung und der unmittelbaren Wahrnehmung des Objekts der realen Welt bis zur Rezeption eines Diagramms. Im Kontext des Biologieunterrichts sind mindestens folgende Darstellungsformen zu unterscheiden:

  1. Reale Objekte (z.B. Tulpe, Schweineherz)

  2. Realitätsnahe Darstellungsformen solcher Objekte der realen Welt (z.B. Foto einer Wüstenpflanze, Zeichnung einer Katze)

  3. Logische Darstellungsformen wie Diagramme oder Tabellen, mittels derer abstrakte Vorgänge und Prozesse dargestellt werden (z.B. Populationskurve von Räuber und Beute)

  4. Strichzeichnungen bzw. Schemazeichnungen von Objekten der realen Welt (z.B. Blutkreislauf) sowie von Vorgängen und Prozessen (z.B. Photosynthese)

Die unter d. benannten Strichzeichnungen machen einen beachtlichen Anteil der in Biologieschulbüchern verwendeten diskontinuierlichen Darstellungsformen aus (vgl. Brandstetter-Korinth 2017, S. 85) [5] und treten häufig in Kombination mit der Schreibaufgabe des Beschreibens und Erklärens auf. Insofern erscheint es lohnenswert, diese Darstellungsform im Kontext des Beschreibens genauer zu betrachten.

Strichzeichnungen kommen in verschiedenen Abstraktionsstufen vor: Es gibt Zeichnungen, die die Oberflächenform und die Merkmale eines realen Objekts möglichst naturgetreu abbilden und solche, die zusätzliche, mit einer Bedeutung behaftete Gestaltungsmittel verwenden. Anders als bei naturgetreuen Zeichnungen haben dann Farben und Farbverläufe, Formen und Konturen sowie Symbole wie Pfeile wichtige Funktionen. Nur wenn diese Gestaltungsmittel richtig gelesen werden, können sich objektadäquate Repräsentationen ausbilden, auf deren Basis Lernende das Objekt beschreiben können. Geht es um Prozesse, die mithilfe von Strichzeichnungen abgebildet werden – eine gängige Methode, um Experimente zu vergegenwärtigen – findet man häufig eine Zusammensetzung aus verschiedenen Einzelzeichnungen (vgl. Abbildung 1). Diese Art von Strichzeichnungen sollen die unmittelbare Durchführung und Wahrnehmung des Experiments ersetzen, doch sind sie schematischer und daher abstrakter als z.B. Fotodokumentationen.

 

 

Abbildung 1: Strichzeichnung mit zugehörigem Arbeitsauftrag im Lehrwerk Markl Biologie I für die Klassen 5 und 6 [6]

 

Um die Abbildung beschreiben zu können, wie es die zu bearbeitende Aufgabe A3 im Schulbuch fordert, müssen Lernende erkennen, dass es sich im Grunde um zwei (Teil-)Experimente handelt – in der Abbildung lediglich erkennbar an einer blau hinterlegten Markierung mit (a) und (b). Jeweils zwei Zeichnungen bilden den Ausgangszustand und den Endzustand des jeweiligen Prozesses ab: Sowohl in (a) als auch in (b) besteht der erste Handlungsschritt in dem Einschütten des Becherglasinhalts in den Filter, der sich auf dem Erlenmeyerkolben befindet. Die jeweils zweite Abbildung zeigt den Endzustand des Durchsickerns, so wie er sich nach einigen Minuten in der Wahrnehmung zeigt bzw. bei realer Durchführung zeigen würde, nämlich den Filter mit der Stärke darin und den Erlenmeyerkolben mit dem Wasser darin. Zwischen diesen Abbildungen ist jeweils ein schwarzer, waagerechter Pfeil abgebildet, der den Blick zum nächsten Bild lenkt. Was sich zwischenzeitlich ereignet, nämlich dass die Flüssigkeit durch das Filterpapier sickert, ist nicht abgebildet und muss von Lernenden mental ergänzt und schließlich versprachlicht werden. So z.B. folgender Schüler einer sechsten Klasse in seiner Beschreibung: „Man schütet das Wasser mit Stärke ins Filterpapier. Das Wasser fließt durch den Becherglas, doch die Stärke die im Wasser war bleibt im Filterpapier.“1 Dass dies auch eine Herausforderung sein kann, zeigt folgende Beschreibung eines Mitschülers: „Als erstes schüttelt man das Wasser mit der Stärke in den Trichter mit dem Filterpapier, drin dann sieht man das die Stärke im Filterpapier, drin ist. Und das Wasser auf dem Boden des Trichters ist.“ Der Schüler beschreibt hier lediglich das, was als Momentaufnahme mit der Abbildung illustriert wird, und lässt aber Beschreibungen dessen, was sich auf Grundlage der statischen Abbildung im Kopfkino abspielen soll, aus. Ähnlich beschreibt ein dritter Schüler den Versuch, doch markiert dieser die Zeitraffung sprachlich: „Nach einer Weile sieht man dass die Stärke im Filterpapier hängengeblieben ist, und dass das Wasser durchgegangen ist.“ Mit der Kombination aus dem Präsensperfekt und der Präpositionalgruppe [nach einer Weile] nimmt er eine zeitliche Einordnung vor, die bei der Gegenwart, der aktuellen Wahrnehmung ansetzt [sieht man] und den beobachteten Sachverhalt als Resultat eines Prozesses darstellt, der vor der Äußerungszeit liegt (vgl. Hoffmann 2016, 279 f.) [3]. Die Beispiele legen nahe, dass im Zusammenhang mit Abbildungen transitive Perzeptionsverben wie in „man sieht“ anstelle einer dynamischen, prozessbegleitenden Beschreibung eine statische Beschreibung von Handlungs- und Prozessresultaten evozieren.

Anders als die schwarzen Pfeile geben die beigefarbigen, geschwungenen Pfeile die Bewegungsrichtung des abgebildeten Gegenstands vor, so dass die Bewegung des Kippens und das damit verbundene Einschütten des Wassers in den Filter mental repräsentiert werden muss. Die orangefarbenen Pfeile mit Farbverlauf stehen wiederum abstrakt für die Tatsache, dass auf die submikroskopische Perspektive gewechselt wird und steuern sogleich den Blick auf das, was für die Erklärung relevant sein wird. So, wie die Bedeutungen der Pfeile in dieser Strichzeichnung stets verschieden sind, folgen auch andere gängige Gestaltungsmittel von Strichzeichnungen wie z.B. quadratische oder dreieckige Formen keinen festen Konventionen. Dies erschwert für Lernende die Verinnerlichung ihrer jeweiligen Funktion und eine entsprechende Regelausbildung. Die Vertrautheit mit der Darstellungsform ist aber für die Ausbildung von mentalen Repräsentationen, auf deren Grundlage dann eine Beschreibung verfasst werden kann, von großer Relevanz (vgl. Schnotz und Bannert 1999, S. 224) [7]. Doch was spricht dann für den Einsatz von solchen Strichzeichnungen im Kontext von naturwissenschaftlichen Experimenten? Ein Vorzug im Vergleich zu Experimenten in der Praxis liegt, neben Zeit- und Kostenfaktoren, offensichtlich in der Aufmerksamkeitssteuerung des Rezipienten. Beobachten und Beschreiben erfordern immer eine Selektion, eine Unterscheidung von Relevantem und Irrelevantem. Dass dies anspruchsvoll und überhaupt nicht trivial ist, demonstriert bereits Karl Popper, der angesichts der Aufgabe „Protokolliere, was du eben erlebst!“ Überlegungen darüber anstellt, ob er protokollieren solle, dass er eben schreibt, dass er eine Glocke, einen Zeitungsausrufer und einen Lautsprecher hört oder dass er sich darüber ärgere (vgl. Popper 1935, S. 62) [8]. Die Strichzeichnung reduziert den Ausschnitt der realen Welt, indem sie lediglich die für die Erkenntnis relevanten Teilaspekte darstellt und den Blick auf diejenigen Aspekte lenkt, deren Wahrnehmung und Beschreibung Voraussetzung für eine fachlich-wissenschaftliche Erklärung sind.

 

3 Fazit

 

Hoffmann (2016, S. 538) [3] weist darauf hin, dass bei der Bestimmung der Komplexität einer Beschreibung verschiedene Untersuchungskategorien herangezogen werden müssen: Handelt es sich um die Beschreibung der Oberflächengestalt, um die Beschreibung der Funktionsweise, geht es um das Zusammenwirken einzelner Teile, liegt eine feste Perspektive vor oder wird eine dynamische Vorstellung aufgebaut? Über welches Vorwissen verfügen die Rezipienten? Und über welche Eigenschaften verfügt das Objekt? Denkt man das Beschreiben als Anforderung im Kontext von Schule und Unterricht, erscheint es notwendig, die Art und Weise der Darbietung eines zu beschreibenden Objekts mit zu berücksichtigen. Gerade im Fachunterricht werden Objekte häufig nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern schematische Abbildungen dieser in Form von Strichzeichnungen perzipiert. Tatsächlich zu beschreiben sind aber, anders als z.B. bei Gemälden, die Objekte der realen Welt, nicht die Strichzeichnungen. So dürfte eine Beschreibung wie „Zwischen den beiden Erlenmeyerkolben befindet sich ein schwarzer, waagerechter Pfeil.“ bei Lehrkräften für großen Unmut sorgen.

 

Die Beispiele entstammen einem Korpus mit Texten von Schülerinnen und Schülern der 6. Klasse eines Gymnasiums. Die Textauszüge werden originalgetreu wiedergeben, d.h. ohne zielsprachliche Korrektur.


References

[1] Hoffmann, Ludger (2018): Schreiben: Beschreiben. Mit Blick auf Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands. In: Martin Stingelin und Ludger Hoffmann (Hg.): Schreiben. Dortmunder Poetikvorlesungen von Felicitas Hoppe; Schreibszenen und Schrift – literatur- und sprachwissenschaftliche Perspektiven. München: Fink, S. 219–246.
[2] Kultusministerkonferenz (2005): Vereinbarung über Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss im Fach Biologie. Beschluss vom 16.12.2004. Online verfügbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Bildungsstandards-Biologie.pdf, zuletzt geprüft am 14.02.2021.
[3] Hoffmann, Ludger (2016): Deutsche Grammatik. Grundlagen für Lehrerausbildung, Schule, Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache. 3., neu bearbeitete und erweiterte Aufl. Berlin: ESV.
[4] Rehbein, Jochen (1984): Beschreiben, Berichten und Erzählen. In: Konrad Ehlich (Hg.): Erzählen in der Schule. Tübingen: Narr, S. 67–124.
[5] Brandstetter-Korinth, Miriam (2017): Abbildungen Im Biologieunterricht. Berlin: Logos.
[6] Markl, Jürgen; Gauß, Angelika (Hg.) (2014): Markl Biologie I. Schülerbuch. Stuttgart: Klett.
[7] Schnotz, Wolfgang; Bannert, Maria (1999): Einflüsse der Visualisierungsform auf die Konstruktion mentaler Modelle beim Text- und Bildverstehen. In: Zeitschrift für Experimentelle Psychologie 46 (3), S. 217 –236.
[8] Popper, Karl (1935): Logik der Forschung: Zur Erkenntnistheorie der modernen Naturwissenschaft. Wien: Springer.