Cover: Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Bayrak, Cana; Frank, Annika; Heintges, Jessica; Sotkov, Mihail


Die zwischenmenschliche Syntax

 Jessica Heintges 1


1 TU Dortmund, Dortmund, Germany

1 Theorie und außersprachliche Wirklichkeit

 

Mit seinem Text zur Funktionalen Syntax stellt Ludger Hoffmann (2003) [1] eine Syntaxtheorie vor, die von einer binären (inhärenten und kombinatorischen) Funktionalität sprachlicher Mittel, einer mehrdimensionalen Äußerungsstruktur (im Gegensatz zu einer strikt hierarchischen) und unterschiedlichen Arten von syntaktischen Prozeduren ausgeht (vgl. Hoffmann 2003, S. 21 f.) [1]. Somit erfassen diese Überlegungen reale Äußerungsstrukturen, ohne sie in eine vorgegebene Form zu pressen und mit Ausnahmen zu säumen. Das Modell ermöglicht ein kategoriales Erfassen aller in einer Äußerungseinheit realisierten Funktionseinheiten unter Berücksichtigung der Wissensverarbeitung auf Sprecher- und Hörerseite und mit Blick auf die Realisierung des Kommunikationszwecks (sofern der Verwendungszusammenhang bekannt ist).

Einzelne Aspekte des Modells spiegeln m.E. wider, wie Ludger Hoffmann als Professor, Lehrstuhlinhaber, Vorgesetzter und Doktorvater – alles institutionelle Rollen, in denen ich ihn kennenlernen durfte – mit seinen Mitmenschen umgeht, kommunikativen Austausch und Gemeinschaft lebt. Die folgende Betrachtung greift einzelne Prinzipien und Prozeduren der Funktionalen Syntax heraus und zieht Parallelen zwischen ihren Funktionsweisen und zwischenmenschlichen Dynamiken im universitären Forschungs- und Lehralltag mit Ludger Hoffmann – frei von jeglicher Wertung, in dankbarer Anerkennung für syntaktische und zwischenmenschliche Prozeduren. Ein Vergleich zu anderen Syntaxtheorien oder ForscherInnen ist nicht intendiert.

 

    2 Zwischenmenschliche und funktional-syntaktische Dynamiken

2.1 Anerkennung jeder eingebrachten Leistung

 

„Flache Strukturen verdecken die Unterschiede“ (Hoffmann 2003, S. 20) [1] – ein Umstand, dem Hoffmann mit einer Betrachtung ausnahmslos jedes Satzelementes bzgl. seiner Funktion, Abhängigkeiten und Rolle in der Teil-Ganzes-Beziehung entgegenwirkt. Durch ein Auffächern, Vertiefen und Ausdifferenzieren der Strukturen entsteht im Rahmen der Funktionalen Syntax so die Möglichkeit, alle kommunikativen Einheiten einer Äußerung in ihrer Funktionalität zu charakterisieren. Eine hierfür beispielhafte syntaktische Prozedur bietet die propositionale Determination, die – der Funktion einer Determination entsprechend – die hörerseitige Verarbeitung verbalisierten Wissens unterstützt (vgl. ebd., S. 64 f.) [1]. Sie erfasst sprachliche Funktionseinheiten wie z.B. Abtönungspartikeln in ihrer Funktionalität und Rolle im syntaktischen Komplex und lässt sie nicht als Füller in einem Sammelbecken verschwinden, nur weil sie weder phrasal noch kompositional sind oder dem propositionalen Aufbau dienen. Mit ja wird zum Beispiel die Gewissheit bezüglich des eingebrachten Wissens unterstrichen.

 

Anm. d. Verfasserin: Die hier angeführten Beispiele sind, entgegen funktional pragmatischen Standards und Anspruches der empirischen Forschung, keinem Korpus entnommen, sondern im Sinne des Aufsatzthemas konstruiert. Sie sind vornehmlich als stilistisches Mittel zu verstehen.

 

Entsprechend werden auch im universitären Alltag alle Beteiligten, unabhängig von Status oder (institutioneller) Rolle, von Ludger Hoffmann in fachliche Diskurse und das Geschehen am Lehrstuhl einbezogen. Manchmal sieht er gar ein – funktionales – Potential in einem, das man selbst noch nicht entdeckt hatte oder sich zugetraut hätte.

Dieser Blick für die Anerkennung der wahren Leistung steckt auch in der Beschreibung der Doppelperspektivik der syntaktischen Prozedur der Kollation (s. Beispiel (2)):

 

„Kollation lässt sich als Bildung einer Einheit beschreiben, die einen komplexen Gegenstand als gegenständliche Konfiguration unter einer Doppelperspektivik einführt (…)“ (ebd., S. 73) [1]. Herkömmliche Syntax sieht hier semantisch eine Restriktion des durch das Kopfnomen gegebenen Gegenstandbereiches, so Hoffmann weiter (vgl. ebd.). Jedoch liegt – strenggenommen – keine Einschränkung des Gegenstandbereiches vor, da sich auch das funktionale Eigengewicht des Integrats prägend auf die Funktion der entstandenen Einheit auswirkt. Die integrierte Einheit ergänzt die Funktion des Kopfes um eine weitere Perspektive, resultierend in der Doppelperspektivik. Die Erkenntnis, dass hier eine Erweiterung anstelle einer Restriktion vorliegt, zeigt einen umfassend offenen Blick für das, was die (Sprach-)Situation tatsächlich bietet.

 

  1. 2.2 Potentiale des gemeinsamen Wissensaufbaus

Die sprachlichen Mittel bringen ihre atomare Funktionalität in die Kombinationen, die sie eingehen, und tragen somit syntaktisch zum Wissensaufbau bei. Das entstehende Wissen übersteigt nicht selten die verbundenen Wissenselemente. (Hoffmann 2003, S. 22) [1]

Das Erreichen des kommunikativen Zwecks einer sprachlichen Äußerung kann mit dem Lehr- und Forschungsgeschehen am Lehrstuhl verglichen werden. Alle Funktionseinheiten arbeiten mit dem Ziel Forschungserkenntnisse für (außeruniversitäre) Anwendung aufzubereiten: der Lehrstuhlinhaber mit seinem Forschungsprofil als Ausgangs- und Verankerungspunkt (einer Subjektion entsprechend), Lehrende, Hilfskräfte und Studierende (als Teil der Prädikation). Da solch eine Wissensfundierung und -aufbereitung einen Prozess darstellt, in dem sich die einzelnen involvierten Einheiten weiterentwickeln, neues Wissen hinzugewinnen oder an bereits vorhandenes Wissen, ggf. durch Aufforderung von DozentInnen, KollegInnen oder dem Lehrstuhlinhaber, anknüpfen (s. z.B. die Funktion der Determinative, auf den Wissensstatus des Rezipienten hinzuweisen (vgl. ebd.)), sind eine gewisse Flexibilität und ein konstanter Abgleich mit dem Wissen auf dem Weg zum Ziel gefragt. Diese Flexibilität und Offenheit findet sich zum Beispiel in installativen Prozeduren wieder:

 

Installative Prozeduren können in bereits geschlossene, jedoch erweiterbare Einheiten eingefügt werden: Ein Phänomen, das in anderen Syntaxtheorien den kompositionalen Aufbau der Satzstruktur stört. Sie gehen „sekundär mit der Trägereinheit oder einem Teil von ihr koprozedural eine funktionale Beziehung ein (Integration, Synthese etc.)“ (ebd., S. 92) [1]. Installative Prozeduren verdeutlichen die Einbringung weiterer Elemente an ausgewählter Position in der temporalen Struktur einer Äußerung und den damit einhergehenden Einfluss auf die Wissensverarbeitung in der Sprecher-Hörer-Koordination, die laut Hoffmann bis dato kaum systematische Berücksichtigung fand (vgl. ebd.). Es lassen sich zum Beispiel zusätzliche Integrate, die zur separaten Verarbeitung durch intonatorische oder interpunktive Abgrenzung markiert sind, durch die Installationsform der Delimitierung (s.o. Beispiel (3)) nach Belieben im linearen Ablauf und der Wissensverarbeitung einfügen. Diese Abbildung der Wahlmöglichkeit der Platzierung spiegelt die Flexibilität der Sprachproduktion als Reaktion auf das Rezipienten-Feedback und das Laufwissen wider. So wie in einem Satz durch Delimitierung sekundär einbezogene Einheiten ihren Platz finden, um bestimmtes Wissen zu gewichten oder ergänzen, war an Ludger Hoffmanns Lehrstuhl auch immer Raum für Gäste: seien es Gastvortragende, ehemalige MitarbeiterInnen oder die Kinder von MitarbeiterInnen, für die, ausgestattet mit Malbuch und Buntstiften, während des Kolloquiums immer Platz in der Kolloquiumsrunde war. 

Erwähnenswert scheint ferner die unterstützende Rolle integrierter Funktionseinheiten, wie sie auf unterschiedliche, teils gegensätzliche Art (s. Explikation versus Restriktion) wirken, indem sie die Funktion ihrer Bezugseinheit unterstützen, ausbauen oder ausdifferenzieren. Dabei bleibt die als Basis fungierende Trägereinheit prägend für die Gesamtfunktion, die aus ihr heraus entsteht. Ein konkretes Forschungsanliegen als Basis vor Augen geht Ludger Hoffmann in den Austausch mit MitarbeiterInnen, KollegInnen und Studierenden, in Kolloquien oder bei einer Tasse Cappuccino im Campus Café. Hieraus resultierende Ideen oder Gedanken, die für die Forschung sinnvoll, eventuell gar gefordert sind, fließen zum Zwecke der Konkretisierung in die Forschung mit ein. Gleiches gilt für Anmerkungen Ludger Hoffmanns zu Forschungsprojekten seiner MitarbeiterInnen:

 

Dieser kurze Aufsatz kann nur einen kleinen Einblick in Hoffmanns Überlegungen zur Funktionalen Syntax bieten sowie einen Teil der möglichen Parallelen zu Dynamiken in der zwischenmenschlichen Wirklichkeit aufzeigen. In der Forschung stehen Wissensgewinn, reproduzierbare Ergebnisse und ihre Anwendung im Mittelpunkt, nicht die Personen hinter den Erkenntnissen. Mit diesen Seiten sei der Blick dafür geöffnet, dass sich, ohne eine Einbuße an Objektivität, doch auch Menschliches, eventuell gar Charakteristika einer Person in ihrer Forschung wiederfinden lassen können.


References

[1] Hoffmann, Ludger (2003): Funktionale Syntax: Prinzipien und Prozeduren. In: ders. (Hg.): Funktionale Syntax. Die pragmatische Perspektive. Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 18–121.