Cover: Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Bayrak, Cana; Frank, Annika; Heintges, Jessica; Sotkov, Mihail


Ludger zumal

Gisella Ferraresi 1


1 Istanbul

1 Problemaufriss

Zu den wenig erforschten Adverbkonnektoren, die in Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997) [1] erwähnt werden, gehört auch der aus der Reihe tanzende zumal. Dieser Konnektor tritt manchmal mit anderen Konnektoren wie da oder wenn in einer „verstärkenden Funktion“ auf, weshalb er in Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S. 2298) [1] als verstärkende Partikel zu da bezeichnet wird.1 Allein im Satz als Adverbkonnektor dient zumal dazu, einen weiteren Grund einzuführen: „Mit zumal-Sätzen werden zusätzliche Begründungen für ein aus Sprechersicht ohnehin schon genügend begründetes Urteil nachgereicht (ebd.) [1]. Zumal gibt jedoch nicht die Ursache des im externen Konnekt ausgedrückten Sachverhalts auf der Sachverhalts- (propositionalen) Ebene wieder, vielmehr wirkt er auf der Illokutionsebene. Breindl (2004, S. 25) [2] schreibt zumal auch eine konzessive Lesart zu, wie im folgenden Beispiel, in dem zumal durch obwohl ersetzt werden kann:

  1. Warum schreibt sie ihm, zumal sie ihn nicht leiden kann?

In (1) wirkt zumal auf der Illokutionsebene, indem es die Begründung des Frageakts einführt: Wenn der im externen Konnekt ausgedrückte Sachverhalt gegen eine Verhaltensnorm verstößt, kann vom Hörer eine konzessive Interpretation gefolgert werden. Dass die konzessive Relation auf Illokutionsebene entsteht und nicht propositional interpretierbar ist, zeigt sich im entsprechenden Deklarativsatz wie in (2):

  1. *Sie schreibt ihm oft, zumal sie ihn nicht leiden kann.

 

Hier kann der zumal-Satz nicht als Ursache für das Schreiben interpretiert werden. Dementsprechend kann zumal wie denn, aber im Gegensatz zu weil, nicht als Antwort auf eine warum-Frage verwendet werden:

  1. A: Warum schreibt sie ihm nicht?

B: *Zumal sie ihn nicht leiden kann.

Welchen grammatischen Status hat also zumal und wie sind seine Funktion und Bedeutung zustande gekommen?

2 Grammatische Analyse

Ein Vergleich zwischen zumal als Konnektor und anderen Kausalkonnektoren wie denn, da und weil verrät einige syntaktische Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten (vgl. Ferraresi 2008) [3].

Im Unterschied zu weil und da – aber ähnlich wie denn – kann das interne Konnekt von zumal nicht durch eine Fokuspartikel modifiziert werden (4 a.), mit Korrelatelementen wie deshalb vorkommen (4 b.), mit anderen Kausalsätzen oder -adverbialen koordiniert werden (4 c.):

  1. a.*Peter kommt nicht, auch zumal er Maria nicht leiden kann.

b.*Peter kommt deshalb nicht, zumal er Maria nicht leidenkann.

c.*Peter kommt nicht, weil er krank ist und zumal er Maria nicht leiden kann.

Die Daten deuten also darauf hin, dass zwei unterschiedlichen Kategorien vorliegen: im Handbuch der Konnektoren (HdK) (Pasch/Brauße/Waßner 2003, S. 430) [4] wird zumal sowohl als Postponierer als auch als Adverb mit fokussierender Funktion analysiert. Nur in der ersten Funktion ist zumal kausal und kann mit ‚unter anderem, aber besonders deshalb, weil‘ paraphrasiert werden. In seiner adverbialen Funktion kann es durch ‚unter anderem, vor allem, besonders‘ ersetzt werden. Folglich wird zumal als ‚syntaktisch polykategoriale Einheit‘ definiert.

Bei der Diskussion von zumal als Postponierer wird zudem erläutert, dass im untersuchten Korpus zumal mit dem ganzen Konnekt im Mittelfeld selten und im Vorfeld des externen Konnekts nur einmal erscheint (vgl. ebd.) [4]. Eine eingehendere Untersuchung zeigt aber, dass sich zumal zunehmend als Subjunktor verhält. Laut HdK führen Subjunktoren subordinierte Sätze ein, Postponierer aber nur eingebettete. Letztere sind im Unterschied zu Subjunktoren stellungsfest: Sie stehen unmittelbar vor dem internen Konnekt und zusammen mit diesem können sie „nicht vor dem externen Konnekt auftreten“ (ebd., S. 419) [4]. Die Anteposition des zumal-Konnekts ist zwar selten, aber keine Ausnahme, wie eine Korpusuntersuchung zeigt (vgl. Ferraresi 2008) [3]:

  1. Zumal bei uns eine soziale Kälte herrscht, sollte mehr Wert auf soziales Miteinander als auf wirtschaftliche Kompetenzen gelegt werden. (Berliner Morgenpost, 26.09.1999) [5]

Die Variante zumal da, die zur Reinterpretation von zumal als kausaler Konnektor geführt hat, scheint hingegen zunehmend seltener in Gebrauch zu sein.

3 Historische Entwicklung

Zumal ist bereits in mittelhochdeutschen Texten als Temporaladverbiale belegt mit der Bedeutung ‚zu dem Zeitpunkt, zu demselben Zeitpunkt‘ (vgl. DWB, Eintrag: zumal) [6]. Als Temporaladverbiale drückte zumal aus, dass zwei Ereignisse parallel stattfinden oder dass mehrere Personen am gleichen Ereignis beteiligt sind, wie in der folgenden frühneuhochdeutschen Textpassage, in dem von „Türcken / Moren“ behauptet wird, dass sie mehrere Frauen gleichzeitig haben:

  1. weil die Türcken / Moren rc. mehr Weiber zumal haben (Rauwolf, Aigentliche Beschreibung der Raiß, S. 41, 26)

In dieser Funktion und Bedeutung wird zumal bis heute noch in manchen Dialekten gebraucht (vgl. Eberhardt 2017, S. 78) [7]. Von der Bedeutung ‚zum selben Zeitpunkt, gleichzeitig‘ ist der Schritt zur Reinterpretation als additive Partikel ‚auch‘ naheliegend. Dies ist in frühneuhochdeutschen Texten belegt:

  1. ich hab noch andre schaf zumal,

die sind nicht ausz diesem schafstal(H. Sachs1, 265 K.)

In dieser Bedeutung ist zumal seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr in Gebrauch.

Bereits im Mittelhochdeutschen ist zumal als Gradpartikel attestiert mit der additiven Bedeutung ‚auch‘ – eine Funktion, die bis zum Frühneuhochdeutschen in Gebrauch ist:

  1. do er die red allso geton hett, erschracken die diener zumal ser. (Anonym, Fortunatus, 359)
  2. nun hoff ich, dasz der wein, die fremden speisen, die ich zumal gepfeffert und gewürzt, dasz sie zum trunk wie sommerwärme laden (Grillparzer 8, 55)

Die Äußerung mit zumal wird skalierend interpretiert. Dies bewirkt eine Einteilung in Aussage und Präsupposition – ähnlich wie bei auch(vgl. Altmann 1976) [8] – illustriert am Beispiel (9), paraphrasiert in (10):

  1. Ich habe die Speisen zumal gepfeffert und gewürzt.

Aussage: Ich habe die Speisen gepfeffert und gewürzt.

Präsupposition: Ich habe mit den Speisen auch etwas anderes gemacht, z.B. zubereitet.

Alle Alternativen, die durch den Fokusakzent hervorgerufen werden, werden in einer Dimension bewertet. Im obigen Beispiel (9) könnte diese Dimension in allen Aktivitäten bestehen, die mit Speisen gemacht werden können {ich kaufe sie ein, ich bereite sie zu ...}. In (8) wird bei der skalierenden Lesart die Gültigkeit der niedrigeren Werte vorausgesetzt, die Gültigkeit der behaupteten Stufe wird hingegen assertiert (sehr erschrecken) (vgl. Altmann 1976, S. 178) [8].

Als additiver Konnektor verbindet zumal – wie auch – zwei Relata, die in einer symmetrischen Relation zueinanderstehen. Lang (1984) [9] spricht von „Bündelung“ gleichwertiger Alternativen. Anders als bei Kausalität oder Konditionalität ist die additive Relation allgemeiner Natur (vgl. Breindl 2007, S. 144) [10]. Dies führt dazu, dass die Bedeutung aufgrund verschiedener Faktoren im Kontext determiniert wird (vgl. Lang 1991) [11]. Dies ist auch der Prozess, der dazu geführt hat, dass zumal als kausaler Konnektor interpretiert wurde: In der Umgebung von da in zumal da (zur Entwicklung von Konnektoren vgl. Ferraresi 2014) [12]. Vor allem im 18. Jh. wird die Gradpartikel zumal in Verbindung mit den Kausalkonnektoren weil und da in zumal da und zumal weil verwendet. Der Kausalsatz gibt nicht nur den Grund für den Sachverhalt des externen Konnekts an, sondern es wird gleichzeitig präsupponiert, dass keine höheren Stufen auf der Skala der möglichen Gründe gegeben sind bzw. dass gegebene Gründe nicht gültig sind:

  1. Zu St. Trond fingen wir an, von Kokarden zu sprechen; dies setzte ihn, der den Beutel so ungern zog, in Angst und Verlegenheit, zumal, da wir äußerten, daß man sich leicht eine Mißhandlung zuziehen könne, wofern man ohne dieses Schiboleth der Freiheit sich auf den Straßen sehen lasse. (Forster, Ansichten vom Niederrhein, Bd. 2, 534)
  2. aber unmüglich fiele es mir / meine Prinzessin hinter mir zu verlassen: zumal weil ihre lezte worte mich aufmunterten / noch zu hoffen (Anton Ulrich Herzog von Braunschweig, Die durchleuchtige Syrerin Aramena, S. 435)

Als Gradpartikel wird zumal auch mit anderen Konnektoren benutzt, aber mit da ist es am häufigsten belegt.

Die Reinterpretation von zumal als kausale Konjunktion kann aufgrund verschiedener Faktoren erklärt werden: Zum einen wurde die Reanalyse dadurch begünstigt, dass Ursachen sehr selten deterministisch sind. Viel eher tritt der Fall ein, dass Ursachen einer Bewertung unterliegen, wie auch die Frequenz von Kausal- und Konditional-sätzen mit zumal verglichen mit anderen Nebensatztypen bezeugt. Zum anderen bieten Sätze wie im folgenden Beispiel (13) die Möglichkeit einer ambigen Lesart:

  1. Wie wäre es nun möglich / daß die so veränderten Gestirne ihre alte Würckung behalten solten [...]? Zumaldie Sternseher selbst glaubten / daß die Güte und Boßheit eines Gestirnes mehr aus dem Orte / wo er stünde / als aus seiner Eigenschaft zu urtheilen [...] (Caspar von Lohenstein, Großmütiger Feldherr Arminius, Bd. 1, S. 266)

Zumal in der ersten Position kann sowohl als Fokuspartikel als auch als Adverbkonnektor in der Vorerstposition interpretiert werden. Im ersten Fall hat zumal die Nominalphrase ‚die Sternseher‘ im Fokus, im zweiten Fall nimmt es den ganzen Satz als Argument. Dabei ist die Richtung des Verweises unterschiedlich, und dementsprechend unterschiedlich ist auch die Informationsverteilung. Ist zumal eine Fokuspartikel mit der additiven bzw. skalaren Bedeutung ‚auch, sogar, vor allem‘, dann ist die restliche enthaltene Information Hintergrundinformation: ‚auch‘ impliziert, dass es andere Individuen gibt, für die die Prädikation gilt. Ist zumal hingegen ein Konnektor, wird dadurch eine fokale Information eingeführt, welcher der oberste Stellenwert auf einer Skala eingeräumt wird. Dies ist auch im Kern die Bedeutung von zumal als Fokuspartikel. Schematisch können diese beiden Funktionen so dargestellt werden:

  1. a. [[zumalNP]NP V...]

b.[zumalNP… Vletzt]int.Konnekt

Beide Funktionen sind auch im heutigen Deutsch noch vorhanden. Überdies kann die Fokuspartikel zumal sowohl post- als auch pränominal erscheinen:

  1. a.Grammatik ist schrecklich – die deutsche zumal. (Thurmair 2004: 182) [13]

b. Erst als der britische Autor indischer Herkunft über Literatur,zumal über die eigene spricht, gewinnt er jene Ironiefähigkeit und Stilsicherheit, die seine Werke von „Mitternachtskinder“ (1981) bis „Der Boden unter ihren Füßen“ (1998) auszeichnen.(Berliner Morgenpost, 26.11.1999, S. 25, Ressort: FEUILLETON; Nie mehr Schreibblockaden!)

 

Der Unterschied liegt in den Fokusverhältnissen und somit auch in der Interpretation: Bei der postnominalen Position (15 a.) handelt es sich um kontrastiven Fokus. Dabei werden Mitglieder derselben Kategorie auf einer Skala in Bezug auf ein graduierbares Adjektiv oder Prädikat verglichen. Das Element im Fokus von zumal steht auf einer hohen Position auf der Skala. In (15 a.) werden Grammatiken verschiedener Sprachen in Bezug auf die Eigenschaft ‚Schrecklichkeit‘ verglichen. Auf dieser Skala gehört die deutsche Grammatik zu den schrecklichsten. In der pränominalen Position (15 b.) wird aus einer Obergruppe eine Teilgruppe spezifiziert (als eine Art Partitivität), für die das Prädikat besonders trifft. Im Beispiel (15 b.) geht es um das Auftreten von Ironiefähigkeit und Stilsicherheit, die sich beim britischen Autor Salman Rushdie finden, wenn er über Literatur spricht. Die Eigenschaften Ironiefähigkeit und Stilsicherheit treten insbesondere bei der Diskussion über die eigene Literatur auf.

4 Fazit

An dieser Stelle bleibt mir nichts anderes übrig, als Ludger für seine beispielhafte Karriere als Dozent, als Forscher und Freund zu danken und zu seinem Geburtstag zu gratulieren. Alles Gute, Ludger zumal!

 

1      Man siehe auch die Diskussion zu verschiedenen Wortarten in Hoffmann (Hg.) (2007). [14]


References

[1] Zifonun, Gisela; Hoffmann, Ludger; Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen Sprache.Berlin [u.a.]:de Gruyter.
[2] Breindl, Eva (2004): Konzessivität und konzessive Konnektoren im Deutschen.In: Deutsche Sprache32 (1), S. 2–31.
[3] Ferraresi, Gisella (2008): Adverbkonnektoren und Modalpartikeln als Mittel der Informationsstrukturierung im Deutschen – eine synchrone und diachrone korpusbasierte Untersuchung mit einigen Anmerkungen zum Spracherwerb. Habilitationsschrift, TU Dortmund. [Im Erscheinen].
[4] Pasch, Renate; Brauße, Ursula; Waßner, Ulrich H. (2003): Handbuch der deutschen Konnektoren (HdK).Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer.Berlin [u.a.]:de Gruyter.
[5] Berliner Morgenpost 1999 ausDeReKo (Deutsches Referenzkorpus). Online verfügbar unter https://www.ids-mannheim.de/digspra/kl/projekte/korpora/, zuletzt geprüft am 11.09.2022.
[6] „zumal“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB), Bd. 32, Sp. 532. Online verfügbar unter https://woerter
[7] buchnetz.de/?sigle=DWB#1, zuletzt geprüft am 22.06.2021.
[8] Eberhardt, Ira (2017): From a particle to a conjunction: Diachronic and synchronic analysis of German zumal. In: Language 93 (2), S. 66–96.
[9] Altmann, Hans (1976): Die Gradpartikeln im Deutschen: Untersuchungen zu ihrer Syntax, Semantik und Pragmatik. Tübingen: Niemeyer.
[10] Lang, Ewald (1984): The Semantics of Coordination. Amsterdam [u.a.]: Benjamins
[11] Breindl, Eva (2007): Additive Konjunktoren und Adverbien im Deutschen. In: Joachim Buscha und Renate Freudenberg-Findeisen (Hg.):Feldergrammatik in der Diskussion. Funktionaler Grammatikansatz in Sprachbeschreibung und Sprachvermittlung. Frankfurt a. M.: Lang, S. 141–164.
[12] Lang, Ewald (1991) "Koordinierende Konjunktionen", in: Arnim von Stechow und Dieter Wunderlich (Hrsg.) Semantik. Semantics. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Berlin: de Gruyter, S. 597-623.
[13] Ferraresi, Gisella (2014): Grammatikalisierung. Heidelberg: Winter Verlag.
[14] Thurmair, Maria (2004) "Grammatik ist schrecklich - die deutsche zumal. Oder etwa nicht?". Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer 3, S. 182-185.
[15] Hoffmann, Ludger (2007) (Hg.): Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [u.a.]: de Gruyter.