Cover: Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Von Anapher bis Zweitsprache - Facetten kommunikativer Welten

Bayrak, Cana; Frank, Annika; Heintges, Jessica; Sotkov, Mihail


Koordination

Hans-Werner Eroms 1


1 Passau

1 Wesen der Koordination

In seiner umfassenden Darstellung der Koordinationsmöglichkeiten im Deutschen hat Ludger Hoffmann (Hoffmann 1997) [1] u.a. deutlich gemacht, dass und wie sich die Prozedur der Verbindung von sprachlichen Elementen auf den einzelnen sprachlichen Ebenen niederschlägt. Sowohl auf der Phrasemebene als auch auf der Satzebene und darüber hinaus auf der Text- und Diskursebene sind immer die jeweils nächsthöheren Verkettungsebenen einzubeziehen, um die Kohärenz des Gesagten und vor allem die Stringenz der Verknüpfung herzustellen. Denn die Koordination ist ein aktiver Prozess; die herkömmliche Erfassung seiner semantischen und pragmatischen Leistung über die Reduktion von generierten und getilgten Elementen ist zwar syntaktisch praktikabel, verkennt aber die aufbauende Leistung dieser sprachlichen Prozedur. Denn es handelt sich nicht um eine Weglassung von, sondern gerade um eine Hinzufügung zu schon Gesagtem. In untersatzmäßigen Verhältnissen beruht Koordination auf einer „Mehrfachnutzung“ einmal eingeführter Elemente. Dem sollte eine formale Darstellung Genüge tun können. Auf diesen Aspekt wird in einem ersten Schritt nachfolgend kurz eingegangen. In einem zweiten Schritt soll die übersatzmäßige Koordination angesprochen werden. Es wird sich zeigen, dass trotz der auf der Hand liegenden Unterschiede dieser beiden Prozeduren starke Gemeinsamkeiten auszumachen sind. Dafür lassen sich zwei Gründe anführen: Einmal sind die Übergänge zwischen diesen Strukturtypen nicht absolut festzumachen, sie sind vielmehr gleitend. Zum andern sind die Grundleistungen der beiden Typen, trotz der jeweils einzusetzenden unterschiedlichen sprachlichen Strategien, gleich. Während es sich bei den untersatzmäßigen Koordinationen um Ersparungen handelt, sind es bei den übersatzmäßigen Kontextblöcke, die auf Gleichheiten und Unterschiede abzusuchen sind. In jedem Fall werden an die Verstehenskompetenzen der Kommunizierenden hohe Anforderungen gestellt: Sie müssen den Vor- und Nachkontext so verarbeiten, dass sie die Gleichheiten und Unterschiede der Konjunkte adäquat interpretieren. Während dies bei und als Hauptsatzkonjunktion zu einer semantischen Anreicherung der gemeinsamen Kenntnismenge führt, ist es bei aber ein Gegensatz, der jedoch genauer zu bestimmen ist. Zu diesen Verknüpfungstypen tritt in der Gegenwartssprache ein weiterer Konnektor, nur, der eine Menge von Eigenschaften aufweist, die auch aber kennzeichnet, sich aber in seiner diskursiven Leistung von aber durch eine „weichere“ Korrektur des Vortextes unterscheidet.

2 Untersatzmäßige Koordination

Hier handelt es sich im Wesentlichen um die Koordination gleichartiger Glieder. Die „Gleichheit“ ist jedoch, semantisch gesehen, nur ein formales Kriterium, das kommunikativ erst dadurch sinnvoll gefüllt wird, dass innerhalb der Gleichheit nach differenzierenden Unterschieden gesucht wird. Andernfalls würde sich kein kommunikativer Fortschritt ergeben. Betrachten wir dazu einige Beispiele, die Hoffmann (1997, S. 2367 f.) [1] anführt, um die Leistung des Konnektors und zu belegen. Hoffmann unterscheidet Satz- und Phrasenkoordination und zeigt zunächst, dass eindeutige Fälle von Satzkoordinationen nur vorliegen, „wenn vollständige Sätze (mit finiten Verben und mit Subjektsausdrücken) durch Konjunktor oder Juxtaposition verbunden werden“ (ebd., S. 2368) [1], wie in (1). Fälle wie (2) sind dagegen Phrasenkoordinationen.

  1. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies seiner Meinung nach, daß man ihn unterschätzte und daß er mehr Freiheit haben würde, als er hätte von vornherein hoffen dürfen (F. Kafka, Das Schloß).
  2. Jan und Anna kennen den Film.

Syntaktisch gesehen, werfen Koordinationen von Sätzen keine Ableitungsprobleme auf, denn sie werden, nach welcher syntaktischen Theorie auch immer, unabhängig voneinander generiert und über den Konjunktor miteinander verbunden. Anders steht es bei Phrasenkoordinationen. In Sätzen wie (2) lassen sich die beiden Subjektsausdrücke in einer dependenzgrammatischen Darstellung durch einfache „Nektion“ verbinden, was in Bezug auf die Verbform deren Pluralmorphologie nach sich zieht. Die Regelung dieser syntaktischen Verhältnisse erfordert neben den hierarchischen dependenzgrammatischen Regeln eine Interdependenzregel für die Reaktion des finiten Verbmorphems auf das pluralische Subjekt und für die Verbindung der beiden Subjektsausdrücke (Eroms 2000, S. 466 f.) [2]. Schwieriger sind Gappingfälle wie (3) und (4):

  1. Sven hat die Goldmedaille gewonnen, (und) Martin die Silbermedaille.
  2. Sven hat die Gold-, (und) Martin die Silbermedaille gewonnen.

Das noch relativ überschaubare Rückwärtsgapping (3) erfordert, bei der Rezeption den fehlenden Verbteil (hat gewonnen) auf den zweiten Satzteil zu übertragen, beim Vorwärtsgapping (4) zusätzlich für den ersten Satzteil die fehlenden Verbteile rückzuübertragen. Für generative Grammatiken ergeben sich dadurch aufwendige Erzeugungs- und Tilgungsprozeduren. Mit der Einbeziehung intonatorischer Bestandteile in die Syntax, wie es Hoffmann (2003, S. 26) [3] vorschlägt, lässt sich in (4) über die – allerdings nur fakultative – Staupause in Verbindung mit steigendem Offset vor dem Konjunktor nach Gold- die Interpretation auslösen, dass die so markierten Teile strukturell gleichartig sind.

In semantisch-pragmatischer Hinsicht sind die Verhältnisse einfacher, was darauf hindeutet, dass die Erzeugung, Rezeption und Analyse generellen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, die auf allgemeinen sprachlichen Prinzipien beruhen. Es sind solche, die die Verrechnung des jeweiligen Vor- und Nachbereichs der infrage stehenden Glieder betreffen. Die dabei verwendeten Konjunktionen und vergleichbare Elemente geben die Signale für bestimmte Operationen. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt darin, dass der abzusuchende Bereich prinzipiell offen sein kann. Das heißt sowohl untersatzmäßige als auch übersatzmäßige Felder (und für die letzteren ein variabler Vorbereich) sind für die adäquate Interpretation nicht festgelegt, sondern müssen im Gegenteil bei der Rezeption jeweils erst bestimmt werden, auch wenn es in den meisten Fällen der direkte Vorgängersatz ist. So aktiviert die Konjunktion denn in Beispiel (1) das Handlungsfeld ‚Begründung‘ für die Einordnung der infrage stehenden verbundenen Glieder und kann sich auf den Satz Es war aber andererseits auch günstig beschränken. Schaut man in den Originaltext von Kafka, erkennt man jedoch, dass das Begründungsfeld noch weiter zurückgreift. Denn das „einerseits“, das das andererseits nach sich zieht, ist hier für die Akzeptanz des Begründungsvorgangs unerlässlich. Es heißt:

K. horchte auf. Das Schloß hatte ihn also zum Landvermesser ernannt. Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, daß man im Schloß alles Nötige über ihn wußte, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. (Franz Kafka, Das Schloß, Frankfurt: Fischer(1958), S. 10)

Unser Augenmerk soll aber zunächst weiter auf die „reine“ Koordination gerichtet sein, also auf durch und verbundene Elemente. Seit der Arbeit von Ewald Lang (Lang 1977) [4] wird das hier anzusetzende pragmatische Interpretationsfeld als ‚Gemeinsame Einordnungsinstanz‘ (GEI) aufgefasst. Die Aufgabe des Hörers/der Hörerin ist es, für die durch und koordinierten Glieder eine gleichartige Interpretationsinstanz aufzusuchen und sodann den Unterschied der Konjunkte, der sich in einem Textfortschritt niederschlagen muss, zu bestimmen. In Beispiel (2) ist das einfach: Mit der Nennung der ersten Person und der Anführung des Konjunktors und wird erwartet, dass aus dem semantischen Feld ‚Person‘ eine oder mehrere weitere angeführt werden. In (3) und (4) ist die GEI ‚Medaillen‘ ebenfalls, wie bei fast allen untersatzmäßigen Bezügen, unproblematisch. Dagegen erfordert die Verifizierung der GEI bei übersatzmäßiger Koordination zwingend eine Bezugnahme auf den Vorkontext. Darauf wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Aus der Betrachtung untersatzmäßiger Verknüpfung kann dazu festgehalten werden, dass die Suche nach dem Geltungsbereich für die Angemessenheit der Verknüpfung sich von innen nach außen bewegt, bis eine sinnvolle Interpretationsgrundlage erreicht ist. Untersatzmäßige Verknüpfung wird dabei syntaktisch gesteuert, übersatzmäßige erfordert einen weit höheren Aufwand.

3 Übersatzmäßige Koordination

Der neutrale Fall ist auch hier die Koordination mit dem „Universalkonjunktor“ (Hoffmann 1997, S. 2387) [1] und. Diese Konjunktion ist inzwischen gut untersucht, so dass auf die Ergebnisse, die sich insbesondere in der Arbeit von Selmani (2012) [5] finden, verwiesen werden kann. „Und setzt eine komplexe Operation in Gang“, wie Selmani (2012, S. 147) [5] schreibt, die die Konjunkte im Diskurs vorwärts und rückwärts „zusammendenkt“. Die entsprechenden Einheiten gehören zusammen: „Durch die Koordination werden zwei Einheiten mit sich überschneidendem Funktionspotential unter einer einheitlichen Funktion kombiniert, bilden einen Funktionszusammenhang“ (Hoffmann 2003, S. 89) [3]. Aber und ist nur der Prototyp für eine durch einen Konnektor angezeigte Koordination. Wenn im Diskurs etwas hinzugefügt wird, lässt sich das als Anzeichen werten, dass etwas bis dahin argumentativ nicht ausreichend belegt worden ist oder ein Gegengewicht benötigt. Im Falle eines direkten Gegensatzes tritt dafür der Konnektor aber ein. Doch sind die beiden Konnektoren und und aber in manchen Fällen auch austauschbar.

Alle Konnektoren lassen sich, wie bereits angegeben, als Signale dafür auffassen, den Vorkontext abzusuchen, um eine sinnvolle Verknüpfung in Gang zu setzen. Und ist dabei unmarkiert und benötigt keinen expliziten Indikator. Dagegen findet sich bei aber häufig ein solcher: der adverbiale Hilfsoperator zwar; er fokussiert im zu verknüpfenden Vorkontext auf den gegensätzlichen Verknüpfungsbereich. Zwar und aber treten sowohl untersatz- (zwar: Beispiel (6); aber: (5)) als auch übersatzmäßig (zwar: (5); aber: (6)) auf:

  1. Zwar reichte sie nicht an die 10 Goldmedaillen aus dem Vorjahr heran. Mit acht Gold- und zwei Silbermedaillen bot Jackie Banky aber erneut ein herausragendes Ergebnis. (DeReKo: LTB16/MAI.00468 Luxemburger Tageblatt, 06.05.2016) [6]
  2. „In Berlin habe ich zwar Gold gewonnen, aber die Silbermedaille hier in Daegu kann ich mehr genießen“, gab die 20-Jährige am vergangenen Sonntag einen Einblick in ihr Seelenleben. (DeReKo: B11/SEP.00991 Berliner Zeitung, 10.09.2011, S. 19) [6]

Bei der Bindung der zwar-aber-Koordination in einem Satz ergibt sich der abzusuchende Vorkontext für aber zwangsläufig, doch bei übersatzmäßigen Fällen ist der Kontext nicht vorgegeben, sondern muss für die aber-Verknüpfung bei der Rezeption erst rekonstruiert werden. Dieses Verhältnis trifft nun in viel offensichtlicherem Maße für den seit einiger Zeit an die Seite von aber tretenden Konnektor nur zu. Das Wort nur hat ursprünglich seine Domäne in der Funktion als Graduierungspartikel (z.B. nur die Silbermedaille, nicht die Goldmedaille). Auf die Entstehung der Konnektorenfunktion kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. dazu Eroms 1994; Pérennec 1989) [7] [8]. Nur in adversativ verknüpfender Funktion findet sich vor allem in argumentativen Kontexten und ist meist, aber durchaus nicht immer mit aber austauschbar. Das Wort betont zwar den Gegensatz, ist aber diskursiv gleichsam konzilianter, weil es die im Vorkontext ausgedrückte Ansicht nicht direkt angreift, sondern für den Diskursfortgang bestehen lässt und einen Gesichtspunkt anführt, der dem Diskurs ein bislang fehlendes Argument hinzufügt und ihn damit in eine andere Richtung lenken soll. So wird in (7) mit nur nicht in Abrede gestellt, dass die jungen Leute lesen wollen und damit Abonnenten von Tageszeitungen sein werden, sondern dass sich daraus eine Verpflichtung der Zeitung ergibt. In (8) zeigt sich die „weichere“ Argumentationsstrategie besonders deutlich: Der Opponent bestätigt den Vortext mit Ja. Richtig und schließt dann einen weiterführenden Gedanken an. (9) ist ein Beispiel dafür, dass häufig ein viel weiterer Vorkontext abgesucht werden muss, damit das mit nur angeschlossene Diskursargument richtig eingeordnet werden kann. Es wird als das entscheidende ausgegeben.

  1. Diese jungen Menschen wollen lesen, und sie werden die kommenden Abonnenten von Tageszeitungen sein. Nur: Eine Zeitung hat in Gestaltung und Aufbereitung der Themen auf neue Lesergenerationen zuzugehen. (DeReKo: A97/APR.00958 St. Galler Tagblatt, 28.04.1997) [6]
  2. Riester: Die Herren sollten erst einmal lesen, nachdenken und dann reden.
    FOCUS: Starker Tobak. Riester: Ja. Richtig. Nur: Ohne Grund treiben Hundt und Henkel erst ihre Leute auf die Barrikaden – und jetzt wissen sie nicht, wie sie ihre Truppe wieder zurückholen sollen. (DeReKo: FOC00/DEZ.00217 FOCUS, 11.12.2000, S. 034-036) [6]
  3. Daß mit Bruno Kernen ein nicht einmal als Außenseiter gehandelter Läufer gewinnen sollte, läßt sich eben auch damit erklären, daß besagter Fahrer an diese Abfahrt wie an jede andere ging – ohne Hohn und Unterschätzung. ÖSV-Cheftrainer Werner Margreiter sprach anschließend unumwunden von einer „klaren Niederlage und einer maßlosen Enttäuschung“. […] Das zeugt von Größe. Nur: die Medaillen kommen davon auch nicht zurück. (DeReKo: N97/FEB.05841 Salzburger Nachrichten, 10.02.1997) [6]

Die Konnektoren aber und nur weisen auf unterschiedliche textuelle Strategien hin. Während aber für Argumente aus dem Vortext Gegensätzliches anführt, nimmt nur eine subtilere und konziliantere Korrektur vor. Als einer der ersten hat Ludger Hoffmann nur auch in seiner Konjunktorfunktion beschrieben (Hoffmann 1997, S. 2421 ff.) [1]. Die in diesem Beitrag angeführten Belege zeigen, dass dieser Konjunktor nun den vollen Status eines solchen erreicht hat.

 

References

[1] Hoffmann, Ludger (1997): Koordination. In: Gisela Zifonun, Ludger Hoffmann, Bruno Strecker (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Bd. 3, 3 Bde. Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 2359–2446.
[2] Eroms, Hans-Werner (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin [u.a.]: de Gruyter.
[3] Hoffmann, Ludger (2003): Funktionale Syntax: Prinzipien und Prozeduren. In: ders. (Hg.): Funktionale Syntax. Die pragmatische Perspektive. Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 18–121.
[4] Lang, Ewald (1977): Semantik der koordinativen Verknüpfung. Berlin: Akademie-Verlag.
[5] Selmani, Lirim (2012): Die Grammatik von und. Mit einem Blick auf seine albanischen und arabischen Entsprechungen. Münster [u.a.]: Waxmann.
[6] Das Deutsche Referenzkorpus – DeReKo. Mannheim: IDS 2020.
[7] Eroms, Hans-Werner (1994): Die Konnektoren aber und nur im Deutschen. In: Werner Roggausch (Hg.): Germanistentreffen Bundesrepublik Deutschland Polen 26.9.-30.9.1993. Bonn: Deutscher Akademischer Austauschdienst, S. 285–303.
[8] Pérennec, Marcel (1989): Nur: funktionale Vielfalt und semantische Einheit. In: Harald Weydt (Hg.): Sprechen mit Partikeln.Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 451–463.